Interview mit Kurt Chaim Sommerfeld.

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Interview mit Kurt Chaim Sommerfeld.

Beitrag von -sd- » 07.12.2008, 22:02

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Kurt Chaim Sommerfeld wurde 1907 in Berlin als Sohn eines Kaufmanns geboren, die
Familien beider Eltern lebten seit vielen Generationen in Sachsen und in Westpreußen.
Er wuchs mit zwei Brüdern und einer Schwester in Berlin-Charlottenburg auf.

Das Elternhaus war sehr assimiliert, man feierte sogar Weihnachten; im 'guten Zimmer'
hingen neben dem Buffet Porträts von Kaiser Wilhelm und Königin Luise:
"Wir waren Deutsche, von Religion war keine Rede." Allerdings wurden im Dezember die
Chanukka-Kerzen angezündet, und Sommerfeld und seine Geschwister gingen zweimal
in der Woche zum jüdischen Religionsunterricht.

An Antisemitismus in der Schule erinnert er sich nicht, wohl aber an antisemitische Vorfälle
in den späteren Jahren. So sagte Sommerfeld 1931 in Berlin in einem Prozeß als Zeuge
aus, in dem es um die schwere Mißhandlung eines jüdischen Jungen auf offener Straße
ging.

Nach seinem Schulabschluß am Gymnasium studierte Sommerfeld von 1922 bis 1926
am Stern'schen Konservatorium in Berlin und von Oktober 1926 bis 1928 an der Kieler
Militärakademie; denn dort habe es, versicherte Sommerfeld, die beste Schlagwerker-
Ausbildung gegeben.

Sein erstes Engagement nahm er in Berlin als Musikstudent in einem Treptower Café an,
in Kiel spielte er ein Jahr lang im Konzert- und Theaterorchester, bis er 1929 zurück nach
Berlin ging, weil ihm als junger Mann die Atmosphäre unter den deutlich älteren Kollegen
nicht gefiel. Danach spielte Sommerfeld als Unterhaltungsmusiker im Palais de Danse
und schließlich im Berliner Städtischen Orchester, das zusammengestellt war, um den
Musikern, die nach der Einführung des Tonfilms arbeitslos geworden waren, eine Arbeits-
möglichkeit zu geben.

1930 heiratete Sommerfeld eine Nichtjüdin. 1931 wurde ihr Sohn Horst Fritz Kurt geboren.

1933 verlor er nicht nur seine beruflichen Chancen, er geriet auch in eine Identitätskrise:
"Wissen Sie, wenn einer ganz gesund ist und er meint, er hat plötzlich eine schwere Krankheit
bekommen, muß er sich irgendwie damit abfinden. Und das war wie eine schwere Krankheit.
So seh' ich es."


Im Oktober 1933 trat Sommerfeld in das Orchester des Berliner Kulturbundes ein, wo er
sich mit dem Dirigenten Michael Taube befreundete. Außerdem gab er im Rahmen der
Berliner Künstlerhilfe Musikunterricht; einige seiner Schüler wanderten später nach
Palästina aus, andere nach Übersee. Rückblickend bezeichnete Sommerfeld die Jahre im
Kulturbund-Orchester als seine schönste Zeit als Musiker,
"weil alle so zusammenhielten und füreinander da waren."

1936 erhielt er gleich drei Angebote von Orchestern im Ausland: Vom 'Palestine Orchestra',
vom Rundfunkorchester in Lima und vom Orchester der Radiostation im südamerikanischen
Porto Allegre. Die Entscheidung fiel für Palästina; denn Sommerfeld hatte im Kulturbund erlebt,
"was ich vorher nie gesehen hatte: Wie jüdische Musiker, die staatenlos waren, wie die gelitten
haben in Deutschland. Wenn einer in irgendeinem Staat eingefügt wird, ist er irgendwie nicht so
verfolgt, wie ein Staatenloser. Ein Staatenloser, den kann man werfen, dem kann man sagen,
morgen wollen wir dich nicht mehr haben. In Palästina, da wußte ich, was kann mir da passieren.
Wir sind ja alle gleich, ich bin kein Outsider mehr. In Südamerika hätte ich eine unbekannte
Zukunft gehabt."


Bis Mitte Dezember machten sich noch neun Musiker nach Palästina auf, fast alle stammten
aus dem deutschen Kulturkreis.

Der frühere Schlagwerker des 'Palestine Orchestra, Kurt Sommerfeld, lebte bis 1988 in Tel Aviv.
Bis zu seinem Tode hatte er die 'Israel-Nachrichten' abonniert, bis zu seinem Tode litt er unter
dem Trauma der Vertreibung aus Deutschland: "Ich bin nicht mehr die Person, die ich eigentlich
sein müßte, ich bin ein anderer, ich bin kein Deutscher, ich bin ein anderer,"
sagte er 1986.

Sommerfeld verlor seine Eltern und weitere 26 Angehörige, die in Konzentrations- und Vernicht-
ungslagern umgebracht wurden. Dennoch fühlte er sich stark zu dem Land seiner Geburt hinge-
zogen.

1956, als er zum ersten Mal seit dem Krieg wieder nach Deutschland kam, erhielt Sommerfeld
seinen deutschen Paß wieder. Geschäftsreisen führten ihn fortan immer wieder nach Deutschland,
und schließlich kaufte er sogar eine Wohnung in Frankfurt. Er machte es sich zur Gewohnheit,
dort mehrere Monate im Jahr zu leben. Erst seit der Diskussion um die Aufführung von Rainer
Werner Fassbinders Theaterstück 'Der Müll, die Stadt und der Tod' in Frankfurt im Jahr 1985
nahm Kurt Sommerfeld wieder das Aufkeimen des Antisemitismus in der Bundesrepublik wahr.

Die doppelte Staatsbürgerschaft hatte für Sommerfeld eine tiefe Bedeutung:
"Ich bin heute Israeli, weil ich seit 50 Jahren in diesem Land lebe, ich bin hier zu Hause.
Aber ich fühle mich auch als Deutscher."
Die Zeit aber ließ sich nicht zurückdrehen.
"Man war vor 60 Jahren Deutscher jüdischen Glaubens, und heute bin ich Jude."

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Quelle:
Barbara von der Lühe 'Die Musik war unsere Rettung'.
Schriftenreihe wissenschaftliche Abhandlungen des Leo Baeck Instituts.
Mohr Siebeck. ISBN 3-16-146975-5

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Kurt Sommerfeld, Unterhaltungsmusiker.

Beitrag von -sd- » 23.01.2009, 18:58

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Lexikon der Juden in der Musik.
Mit einem Titelverzeichnis jüdischer Werke.

Zusammengestellt im Auftrag der Reichsleitung der NSDAP auf Grund behördlicher, parteiamtlich geprüfter Unterlagen.
Bearbeitet von Dr. Theo Stengel, Referent in der Reichsmusikkammer in Verbindung mit Dr. habil. Herbert Gerigk,
Leiter des Amtes Musik beim Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesammten geistigen und welt-
anschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP
.


Bernhard Hahnefeld Verlag, Berlin. 1943.

Die Ortsangaben beziehen sich bei den in Europa ansässigen Juden im allgemeinen auf den jeweils letzten Wohnort
vor der Emigration. Bei den in anderen Erdteilen lebenden Juden ist der letzte uns bekannte Wohnort angegeben.

Es wird gebeten, Berichtigungen und Ergänzungen sowie Hinweise auf nichterwähnte Namen an folgende Anschrift
zu richten:

Amt Musik (Dienststelle des Reichsleiters Rosenberg),
Berlin-Charlottenburg 2, Bismarckstraße 1.

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Der Eintrag auf Seite 280 in dem vorgenannten Buch lautet für Kurt Sommerfeld:

Sommerfeld, Kurt, * Berlin 9. 7. 1907,
UntM (Schl, Trp, Akk)
- Berlin.


Kurt SOMMERFELD, Unterhaltungsmusiker
(Schlagzeug, Trompete, Akkordeon).
Letzter Wohnort vor der Emigration: Berlin.

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Wichtiger Hinweis:
Ich mache darauf aufmerksam, daß es sich hier um original wiedergegebene Satzformulierungen handelt. (-sd-)

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Jüdisches Musikleben in Nazi-Berlin, 1933-38.

Beitrag von -sd- » 29.09.2010, 09:29

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Rainer Lotz 'Jüdisches Musikleben in Nazi-Berlin, 1933-38':
http://www.phonomuseum.at/index2.php?sh ... ainer_lotz


u.a. Informationen zum Kulturbund deutscher Juden / Jüdischer Kulturbund,
Selbsthilfeorganisation jüdischer Künstler im Nazi-Deutschland.
Bei Kriegsbeginn 1939 wurden sämtliche Kulturbund-Aktivitäten verboten.

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Dankenswerterweise mitgeteilt von Hans-Dieter Zemke.

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Kurt Chaim Sommerfeld, Unterhaltungsmusiker.

Beitrag von -sd- » 15.11.2011, 14:09

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Kurt Sommerfeld
* am 9. Juli 1907 in Berlin, + 1988 in Tel Aviv, Israel.
Unterhaltungsmusiker, Schlagzeuger, Trompeter, Akkordeonist.

Hauptname: Kurt Sommerfeld.
Weitere Namen: Kurt Chaim Sommerfeld.

Quelle: 'Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit.'
http://www.lexm.uni-hamburg.de/object/l ... cmsID=0003

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