Dr. med. Hans Sommerfeld (1894-1965).
Verfasst: 09.11.2007, 01:13
Indem ich mich mit meinem vollständigen Namen vorstellte, fragte mich die Dame:
"Sind Sie mit dem Doktor Sommerfeld verwandt?"
"Das weiß ich noch nicht", entgegnete ich und wendete mich erst einmal wieder den neben ihr Sitzenden zu.
Wir saßen an der langen Geburtstagstafel ziemlich weit auseinander, also wartete ich auf eine Gelegenheit,
das Gespräch mit Frau Surenbrock noch einmal wieder aufzunehmen.
"Welchen Sommerfeld meinen Sie denn?" fragte ich sie später. Und nun entwickelte sich ein Gespräch,
bei dem wir schließlich übereinstimmend feststellten, wie klein doch die Welt ist.
Sie kannte die in Hamburg lebende Enkelin der früheren Hebamme Lotti Hochgräfe, mit der Dr. Hans Sommerfeld
im mecklenburgischen Hagenow gemeinsam viele Kinder zur Welt gebracht hatte. Der Vater dieser Enkelin war
- wie ich beiläufig erfuhr - 'Nachkriegs-Bürgermeister' in meiner früheren Heimatstadt Uelzen,
und der Name Hochgräfe war mir durchaus geläufig.
Dies wurde einer jener geselligen Abende, bei denen sich meine Frau auf dem Nachhauseweg erkundigte,
worüber ich mich denn so ungewöhnlich lange mit jener älteren, mir völlig unbekannten Dame unterhalten hätte.
Diesmal ging es um
Dr. med. Hans Sommerfeld,
Sohn jüdischer Eltern, am 24. November 1894 in Luckenwalde geboren, ein getaufter Jude,
also zum christlichen Glauben übergetreten.
Studium der Medizin in Berlin. 1914 Kriegsfreiwilliger / beinamputiert.
Berufstätigkeit an derCharitée in Berlin.
Hans Sommerfeld heiratet am 28. Oktober 1922 in Berlin die aus Pommern stammende Krankenschwester
Margarete Swolinsky (* 4. April 1892 in Greifenhagen) und zieht noch im gleichen Jahr nach Hagenow /
Mecklenburg. Übernimmt dort die Praxis der Frau Mendel Ww. und ist in Hagenow als Arzt und Geburtshelfer
tätig.
Am 9. August 1923 wird der erste Sohn Dieter in Hagenow geboren, am 27. Oktober 1925 der Sohn Klaus.
1938 eröffnet Hans Sommerfeld in Hagenow gegenüber dem Mendel'schen Haus eine eigene Praxis,
muß diese jedoch als Folge der Reichskristallnacht wieder aufgeben, lagert seine Möbel in einem Speicher ein
und siedelt nach Hamburg über. Er darf seinen Arztberuf nicht mehr ausüben.
Ein Kind, das sie in Pflege haben, müssen sie - weil sie Juden sind - abgeben.
Die Familie Sommerfeld wohnt in Hamburg in der Goernestraße und wird in all den Jahren
- von 1938 bis 1945 - , weil Hans Sommerfeld keiner Berufstätigkeit nachgehen darf,
von Curt Swolisky, Sozialdemokrat und Bruder der Großmutter (Margarethe Sommerfeld, geb. Swolisky)
meiner Gesprächspartnerin, 'über Wasser gehalten'.
Eine Mutter, ein Kind erwartend, erinnert sich in ihrer Not, daß in der Nachbarschaft ein jüdischer Arzt
und Geburtshelfer wohnt. Sommerfeld eilt durch den Goernepark, den er - weil er Jude ist - nicht mehr
betreten darf. Er wird beobachtet und tags drauf denunziert.
Hans Sommerfeld darf am 10. Juli 1945 mit Genehmigung der Briten nach Hagenow fahren, um sein
eingelagertes Mobilar zu holen und kann am 10. August 1945 in Hamburg, Eppendorfer Landstraße 33, erneut
eine eigene Praxis eröffnen. Haushilfe und Dienstmädchen ist Sigrid Ehlers, Tochter des Rechtsanwalts Ehlers.
Sigrid, geboren am 14. Februar 1926, heiratet später den ältesten Sommerfeld-Sohn Dieter.
Weil die Sommerfeld-Söhne Dieter und Klaus als Halbjuden zählen, dürfen sie keine öffentliche Schule
besuchen und müssen ihr Abitur extern absolvieren. Dieter beherrscht sieben Sprachen und wird
als Sprachlehrer kriegsverpflichtet.
Beide kommen ins KZ und werden 1945 - bereits auf der Liste der zu Vergasenden - von den Briten befreit.
Dieter studiert Jura, Klaus Medizin und übernimmt später die Arztpraxis des Vaters in Hamburg Eppendorf.
Dieter, der ältere der beiden Sommerfeld-Söhne, gelähmt und an den Rollstuhl gebunden, wird nach
seinem Jura-Studium Mitarbeiter der hamburgischen Finanzbehörde und ist schließlich Oberregierungsrat
im Bereich Zwangsvollstreckung. Er zieht nach seiner Zwangspensionierung rastlos 'alle zwei Jahre' um,
wohnt im Schwarzwald und schließlich in Uelzen in den Krug'schen Neubau-Wohnungen in der Mauerstraße.
1985, nach erneutem Umzug, diesmal nach Reinbek bei Hamburg, beendet er acht Wochen später sein Leben.
Seine Frau lebt heute im Hamburg-Niendorf.
Weil ich mit dem PKW unterwegs war, war ich angesichts der winterlichen Temperaturen
viel zu dünn bekleidet und hatte nur Halbschuhe an. Ich war kurz am Grab meiner Mutter,
und da ich nun schon einmal da war, stiefelte ich durch den den verschneiten Ohlsdorfer Friedhof
und fand bald die Grabstätte, nach der ich suchte.
Auf dem schlichten Grabmal lagen ein paar Steine, und da stand es:
FAMILIE
SOMMERFELD
Dr. med HANS
* 24. 11. 1894
+ 24. 5. 1965
Der erste Vorfahr dieses Namens ist der um 1775 in Putzig (Westpreußen) geborene
Schier Liebermann Sommerfeldt. Er lebte bis zu seinem Tode im Jahre 1834 in Putzig,
wo er ein Leinenwarengeschäft betrieb.
Ob er sich Sommerfeldt erst seit der Verordnung vom 11. März 1812 nannte, wonach alle in Preußen
lebenden Juden gezwungen waren, bürgerliche Namen anzunehmen, ist nicht bekannt. Anzunehmen ist aber,
daß er schon vor 1812 Sommerfeldt hieß, da auch seine Frau Lea bereits den bürgerlichen Familiennamen
Riese trug. Es ist jedoch nicht auszuschließen, daß die Heirat nach dem 11. März 1812 erfolgte und Lea
ebenfalls gezwungen war, den Familiennamen Riese anzunehmen.
Arie, der älteste Sohn des Liebermann Sommerfeldt und seine Frau Lea Riese,
wurde 'der Türken-Sommerfeldt' genannt. Er war um 1840 als Orientreisender
für die große Bernsteinfirma Stantien & Becker zu Pferde 'vom Balkan bis Konstantinopel' unterwegs.
Der zweite Sohn Hermann oder Hirsch, wie er sich nannte, nachdem 1848 und 1850 die Einschränkung
aufgehoben war, daß Juden christliche Vornamen führen mußten, kam von Putzig aus nach Storkow
in die Lehre und ging 1841 nach Berlin. Dort erwarb er 1843 das Bürgerrecht und machte sich früh
selbständig. Er besaß in Berlin das größte Geschäft für Herrenmode, und es war für die damalige Zeit
ungewöhnlich, daß er regelmäßig nach Paris fuhr, um die neueste Mode kennenzulernen.
Seine Frau Ida geb. Hirschberg besaß ein Opernglas vom Besuch der Pariser Weltausstellung.
In späteren Jahren war Hermann Sommerfeldt finanziell an der Eisenbahnbau-Firma
Camozzi, Schlösser & Co. beteiligt und war für kurze Zeit
auch Eigentümer des Guts Brottkowitz bei Lübben im Spreewald.
Hermann Sommerfeldt und Ida Hirschberg hatten sieben Kinder:
Elise, Margarete, Anna, Franz, Albert und Paul.
Dieter Sommerfeld (-sd-)
Hinweis: Dieses ist der 800. Beitrag in diesem Forum.
"Sind Sie mit dem Doktor Sommerfeld verwandt?"
"Das weiß ich noch nicht", entgegnete ich und wendete mich erst einmal wieder den neben ihr Sitzenden zu.
Wir saßen an der langen Geburtstagstafel ziemlich weit auseinander, also wartete ich auf eine Gelegenheit,
das Gespräch mit Frau Surenbrock noch einmal wieder aufzunehmen.
"Welchen Sommerfeld meinen Sie denn?" fragte ich sie später. Und nun entwickelte sich ein Gespräch,
bei dem wir schließlich übereinstimmend feststellten, wie klein doch die Welt ist.
Sie kannte die in Hamburg lebende Enkelin der früheren Hebamme Lotti Hochgräfe, mit der Dr. Hans Sommerfeld
im mecklenburgischen Hagenow gemeinsam viele Kinder zur Welt gebracht hatte. Der Vater dieser Enkelin war
- wie ich beiläufig erfuhr - 'Nachkriegs-Bürgermeister' in meiner früheren Heimatstadt Uelzen,
und der Name Hochgräfe war mir durchaus geläufig.
Dies wurde einer jener geselligen Abende, bei denen sich meine Frau auf dem Nachhauseweg erkundigte,
worüber ich mich denn so ungewöhnlich lange mit jener älteren, mir völlig unbekannten Dame unterhalten hätte.
Diesmal ging es um
Dr. med. Hans Sommerfeld,
Sohn jüdischer Eltern, am 24. November 1894 in Luckenwalde geboren, ein getaufter Jude,
also zum christlichen Glauben übergetreten.
Studium der Medizin in Berlin. 1914 Kriegsfreiwilliger / beinamputiert.
Berufstätigkeit an derCharitée in Berlin.
Hans Sommerfeld heiratet am 28. Oktober 1922 in Berlin die aus Pommern stammende Krankenschwester
Margarete Swolinsky (* 4. April 1892 in Greifenhagen) und zieht noch im gleichen Jahr nach Hagenow /
Mecklenburg. Übernimmt dort die Praxis der Frau Mendel Ww. und ist in Hagenow als Arzt und Geburtshelfer
tätig.
Am 9. August 1923 wird der erste Sohn Dieter in Hagenow geboren, am 27. Oktober 1925 der Sohn Klaus.
1938 eröffnet Hans Sommerfeld in Hagenow gegenüber dem Mendel'schen Haus eine eigene Praxis,
muß diese jedoch als Folge der Reichskristallnacht wieder aufgeben, lagert seine Möbel in einem Speicher ein
und siedelt nach Hamburg über. Er darf seinen Arztberuf nicht mehr ausüben.
Ein Kind, das sie in Pflege haben, müssen sie - weil sie Juden sind - abgeben.
Die Familie Sommerfeld wohnt in Hamburg in der Goernestraße und wird in all den Jahren
- von 1938 bis 1945 - , weil Hans Sommerfeld keiner Berufstätigkeit nachgehen darf,
von Curt Swolisky, Sozialdemokrat und Bruder der Großmutter (Margarethe Sommerfeld, geb. Swolisky)
meiner Gesprächspartnerin, 'über Wasser gehalten'.
Eine Mutter, ein Kind erwartend, erinnert sich in ihrer Not, daß in der Nachbarschaft ein jüdischer Arzt
und Geburtshelfer wohnt. Sommerfeld eilt durch den Goernepark, den er - weil er Jude ist - nicht mehr
betreten darf. Er wird beobachtet und tags drauf denunziert.
Hans Sommerfeld darf am 10. Juli 1945 mit Genehmigung der Briten nach Hagenow fahren, um sein
eingelagertes Mobilar zu holen und kann am 10. August 1945 in Hamburg, Eppendorfer Landstraße 33, erneut
eine eigene Praxis eröffnen. Haushilfe und Dienstmädchen ist Sigrid Ehlers, Tochter des Rechtsanwalts Ehlers.
Sigrid, geboren am 14. Februar 1926, heiratet später den ältesten Sommerfeld-Sohn Dieter.
Weil die Sommerfeld-Söhne Dieter und Klaus als Halbjuden zählen, dürfen sie keine öffentliche Schule
besuchen und müssen ihr Abitur extern absolvieren. Dieter beherrscht sieben Sprachen und wird
als Sprachlehrer kriegsverpflichtet.
Beide kommen ins KZ und werden 1945 - bereits auf der Liste der zu Vergasenden - von den Briten befreit.
Dieter studiert Jura, Klaus Medizin und übernimmt später die Arztpraxis des Vaters in Hamburg Eppendorf.
Dieter, der ältere der beiden Sommerfeld-Söhne, gelähmt und an den Rollstuhl gebunden, wird nach
seinem Jura-Studium Mitarbeiter der hamburgischen Finanzbehörde und ist schließlich Oberregierungsrat
im Bereich Zwangsvollstreckung. Er zieht nach seiner Zwangspensionierung rastlos 'alle zwei Jahre' um,
wohnt im Schwarzwald und schließlich in Uelzen in den Krug'schen Neubau-Wohnungen in der Mauerstraße.
1985, nach erneutem Umzug, diesmal nach Reinbek bei Hamburg, beendet er acht Wochen später sein Leben.
Seine Frau lebt heute im Hamburg-Niendorf.
Weil ich mit dem PKW unterwegs war, war ich angesichts der winterlichen Temperaturen
viel zu dünn bekleidet und hatte nur Halbschuhe an. Ich war kurz am Grab meiner Mutter,
und da ich nun schon einmal da war, stiefelte ich durch den den verschneiten Ohlsdorfer Friedhof
und fand bald die Grabstätte, nach der ich suchte.
Auf dem schlichten Grabmal lagen ein paar Steine, und da stand es:
FAMILIE
SOMMERFELD
Dr. med HANS
* 24. 11. 1894
+ 24. 5. 1965
Der erste Vorfahr dieses Namens ist der um 1775 in Putzig (Westpreußen) geborene
Schier Liebermann Sommerfeldt. Er lebte bis zu seinem Tode im Jahre 1834 in Putzig,
wo er ein Leinenwarengeschäft betrieb.
Ob er sich Sommerfeldt erst seit der Verordnung vom 11. März 1812 nannte, wonach alle in Preußen
lebenden Juden gezwungen waren, bürgerliche Namen anzunehmen, ist nicht bekannt. Anzunehmen ist aber,
daß er schon vor 1812 Sommerfeldt hieß, da auch seine Frau Lea bereits den bürgerlichen Familiennamen
Riese trug. Es ist jedoch nicht auszuschließen, daß die Heirat nach dem 11. März 1812 erfolgte und Lea
ebenfalls gezwungen war, den Familiennamen Riese anzunehmen.
Arie, der älteste Sohn des Liebermann Sommerfeldt und seine Frau Lea Riese,
wurde 'der Türken-Sommerfeldt' genannt. Er war um 1840 als Orientreisender
für die große Bernsteinfirma Stantien & Becker zu Pferde 'vom Balkan bis Konstantinopel' unterwegs.
Der zweite Sohn Hermann oder Hirsch, wie er sich nannte, nachdem 1848 und 1850 die Einschränkung
aufgehoben war, daß Juden christliche Vornamen führen mußten, kam von Putzig aus nach Storkow
in die Lehre und ging 1841 nach Berlin. Dort erwarb er 1843 das Bürgerrecht und machte sich früh
selbständig. Er besaß in Berlin das größte Geschäft für Herrenmode, und es war für die damalige Zeit
ungewöhnlich, daß er regelmäßig nach Paris fuhr, um die neueste Mode kennenzulernen.
Seine Frau Ida geb. Hirschberg besaß ein Opernglas vom Besuch der Pariser Weltausstellung.
In späteren Jahren war Hermann Sommerfeldt finanziell an der Eisenbahnbau-Firma
Camozzi, Schlösser & Co. beteiligt und war für kurze Zeit
auch Eigentümer des Guts Brottkowitz bei Lübben im Spreewald.
Hermann Sommerfeldt und Ida Hirschberg hatten sieben Kinder:
Elise, Margarete, Anna, Franz, Albert und Paul.
Dieter Sommerfeld (-sd-)
Hinweis: Dieses ist der 800. Beitrag in diesem Forum.