'Es ist nicht mehr mein Wugarten.'
Verfasst: 11.01.2011, 13:50
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"Es ist nicht mehr mein Wugarten."
Erich Köhler hat ein Buch über ein ehemals deutsches Dorf in der Neumark geschrieben und es seiner Frau gewidmet
Als Erich Köhler und seine Frau Brunhilde 1965 zum ersten Mal nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nach Ogardy
kamen, wurden sie von einem Bewohner unvermittelt mit den Worten empfangen: „Wollt ihr euer Haus wieder haben,
ich will auch meine Heimat zurück.“
Die deutsch-polnischen Beziehungen waren (und sind bis heute) ein Spannungsfeld. Das Dorf, das heute Ogardy
heißt und in Westpolen liegt, etwa 215 Kilometer von Bredereiche entfernt, hieß bis 1945 Wugarten und gehörte
zum deutschen Gebiet. Brunhilde Köhler, geborene Siefke, kam in der 500-Seelen-Gemeinde zur Welt. Sie wuchs
auf dem elterlichen Bauernhof auf. Als sie acht Jahre alt war, kamen die Besatzer und eines Sommertages kam die
Ausweisung. In 20 Minuten hatten sich die Deutschen mit höchstens 20 Kilo Gepäck an der Gaststätte zu versammeln.
Sie sollten das nun polnische Gebiet verlassen und wurden bei Reitwein über die Oder nach Deutschland getrieben.
Die Geschichte des deutschen Dorfes Wugarten endete mit diesem Tag, die des polnischen Ogardy begann.
Wugarten im Kreis Friedeberg, Neumark – Vom Leben seit 1337 bis zum Sterben des deutschen Dorfes am 28. Juni 1945
ist der Titel des Buches, für das Erich Köhler sechs Jahre recherchiert hat und das für ihn ein Mittelding zwischen Chronik
und Heimatgeschichte ist. Es sei sein bislang schwierigstes Buch, weil es kaum Unterlagen zur Geschichte gibt und weil
es eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit den Ereignissen von 1945 war. Die Kirchenbücher, die Aufschluss über
so manches hätten geben können, hatten die Russen zum Einwickeln ihrer Butterbrote genutzt, Gutsakten und private
Dokumente wurden vernichtet. Daß Fotos erhalten blieben, ist einer Frau zu verdanken, die die losen Bilder im Rucksack
ihres Kindes verborgen hielt. Die Mutter von Brunhilde Köhler hatte das Stammbuch der Familie im BH versteckt, Brunhilde
konnte ihren Impfschein gegen Pocken retten. Erich Köhler verbrachte viele Stunden in Archiven, der Durchbruch gelang
ihm vor fünf Jahren mit einem Treffen ehemaliger Wugartener in Himmelpfort. Gemeinsam reisten sie zurück in die
Geschichte.
Es gab auch Zeitzeugen, die aber die Fragen Erich Köhlers unbeantwortet ließen, weil sie mit ihrer Heimat und der
Geschichte abgeschlossen hatten, als ihnen klar wurde, daß sie niemals werden zurückkehren können. Auch die
Mutter von Brunhilde Köhler wollte über Wugarten nicht mehr sprechen, dazu schmerzten die Erinnerungen zu sehr.
Das Unheil hatte viele Monate vor der Vertreibung im Juni 1945 seinen Lauf genommen. Es hat Scheinhinrichtungen
im Beisein von Kindern und Plünderungen gegeben, der Gutsbesitzer soll gemartert worden sein. Vergewaltigungen
waren an der Tagesordnung. Ohne Vorwarnung standen Soldaten im Wohnzimmer eines Hauses und erschossen
alle Männer im Raum.
Erich Köhler sagt, er wisse heute viel mehr über das Dorf als seine Frau. "Es ist auch nicht mehr mein Wugarten",
resümiert Brunhilde Köhler nach den Besuchen der vergangenen Jahre. Der Hof, auf dem sie aufwuchs, ist verfallen.
So wie viele Häuser des Dorfes. Sie wurde gefragt, ob sie eines kaufen wolle, hat aber abgelehnt. Sie wünscht dem Ort,
daß es vorangeht und nimmt den Bauzaun, der um das Gehöft ihrer Kindheit gezogen ist, als Zeichen der Hoffnung.
"Vertreibungen sind die Geißel des 20. Jahrhunderts", sagt Erich Köhler. Trotzdem sei sein Buch keine Anklageschrift.
"Es ging mir nicht darum, abzurechnen oder das Gebiet wiederhaben zu wollen." Aber Versöhnung, so der Heimat-
forscher und Pfarrer im Ruhestand, sei nur möglich, wenn alles zur Sprache kommt.
Quelle:
http://www.maerkischeallgemeine.de/cms/ ... emals.html
Dieser lesenswerte Artikel von Cindy Lüderitz
stand am 19. November 2010 in der MÄRKISCHEN ALLGEMEINEN, Ausgabe Oberhavel.
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Ergänzende Information: Fotos zu Wugarten > http://de.fotoalbum.eu/mazartu1234/a501198
Unter http://www.grzechull.za.pl/male_mapy/4. ... zdjec.html befindet sich eine Webseite über
Wugarten mit sehr schönen Fotos. Der Text ist in polnischer Sprache, aber die Bilder (auch alte) sind sehenswert.
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Dankenswerterweise mitgeteilt durch Hans-Dieter Zemke, Kornwestheim.
"Es ist nicht mehr mein Wugarten."
Erich Köhler hat ein Buch über ein ehemals deutsches Dorf in der Neumark geschrieben und es seiner Frau gewidmet
Als Erich Köhler und seine Frau Brunhilde 1965 zum ersten Mal nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nach Ogardy
kamen, wurden sie von einem Bewohner unvermittelt mit den Worten empfangen: „Wollt ihr euer Haus wieder haben,
ich will auch meine Heimat zurück.“
Die deutsch-polnischen Beziehungen waren (und sind bis heute) ein Spannungsfeld. Das Dorf, das heute Ogardy
heißt und in Westpolen liegt, etwa 215 Kilometer von Bredereiche entfernt, hieß bis 1945 Wugarten und gehörte
zum deutschen Gebiet. Brunhilde Köhler, geborene Siefke, kam in der 500-Seelen-Gemeinde zur Welt. Sie wuchs
auf dem elterlichen Bauernhof auf. Als sie acht Jahre alt war, kamen die Besatzer und eines Sommertages kam die
Ausweisung. In 20 Minuten hatten sich die Deutschen mit höchstens 20 Kilo Gepäck an der Gaststätte zu versammeln.
Sie sollten das nun polnische Gebiet verlassen und wurden bei Reitwein über die Oder nach Deutschland getrieben.
Die Geschichte des deutschen Dorfes Wugarten endete mit diesem Tag, die des polnischen Ogardy begann.
Wugarten im Kreis Friedeberg, Neumark – Vom Leben seit 1337 bis zum Sterben des deutschen Dorfes am 28. Juni 1945
ist der Titel des Buches, für das Erich Köhler sechs Jahre recherchiert hat und das für ihn ein Mittelding zwischen Chronik
und Heimatgeschichte ist. Es sei sein bislang schwierigstes Buch, weil es kaum Unterlagen zur Geschichte gibt und weil
es eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit den Ereignissen von 1945 war. Die Kirchenbücher, die Aufschluss über
so manches hätten geben können, hatten die Russen zum Einwickeln ihrer Butterbrote genutzt, Gutsakten und private
Dokumente wurden vernichtet. Daß Fotos erhalten blieben, ist einer Frau zu verdanken, die die losen Bilder im Rucksack
ihres Kindes verborgen hielt. Die Mutter von Brunhilde Köhler hatte das Stammbuch der Familie im BH versteckt, Brunhilde
konnte ihren Impfschein gegen Pocken retten. Erich Köhler verbrachte viele Stunden in Archiven, der Durchbruch gelang
ihm vor fünf Jahren mit einem Treffen ehemaliger Wugartener in Himmelpfort. Gemeinsam reisten sie zurück in die
Geschichte.
Es gab auch Zeitzeugen, die aber die Fragen Erich Köhlers unbeantwortet ließen, weil sie mit ihrer Heimat und der
Geschichte abgeschlossen hatten, als ihnen klar wurde, daß sie niemals werden zurückkehren können. Auch die
Mutter von Brunhilde Köhler wollte über Wugarten nicht mehr sprechen, dazu schmerzten die Erinnerungen zu sehr.
Das Unheil hatte viele Monate vor der Vertreibung im Juni 1945 seinen Lauf genommen. Es hat Scheinhinrichtungen
im Beisein von Kindern und Plünderungen gegeben, der Gutsbesitzer soll gemartert worden sein. Vergewaltigungen
waren an der Tagesordnung. Ohne Vorwarnung standen Soldaten im Wohnzimmer eines Hauses und erschossen
alle Männer im Raum.
Erich Köhler sagt, er wisse heute viel mehr über das Dorf als seine Frau. "Es ist auch nicht mehr mein Wugarten",
resümiert Brunhilde Köhler nach den Besuchen der vergangenen Jahre. Der Hof, auf dem sie aufwuchs, ist verfallen.
So wie viele Häuser des Dorfes. Sie wurde gefragt, ob sie eines kaufen wolle, hat aber abgelehnt. Sie wünscht dem Ort,
daß es vorangeht und nimmt den Bauzaun, der um das Gehöft ihrer Kindheit gezogen ist, als Zeichen der Hoffnung.
"Vertreibungen sind die Geißel des 20. Jahrhunderts", sagt Erich Köhler. Trotzdem sei sein Buch keine Anklageschrift.
"Es ging mir nicht darum, abzurechnen oder das Gebiet wiederhaben zu wollen." Aber Versöhnung, so der Heimat-
forscher und Pfarrer im Ruhestand, sei nur möglich, wenn alles zur Sprache kommt.
Quelle:
http://www.maerkischeallgemeine.de/cms/ ... emals.html
Dieser lesenswerte Artikel von Cindy Lüderitz
stand am 19. November 2010 in der MÄRKISCHEN ALLGEMEINEN, Ausgabe Oberhavel.
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Ergänzende Information: Fotos zu Wugarten > http://de.fotoalbum.eu/mazartu1234/a501198
Unter http://www.grzechull.za.pl/male_mapy/4. ... zdjec.html befindet sich eine Webseite über
Wugarten mit sehr schönen Fotos. Der Text ist in polnischer Sprache, aber die Bilder (auch alte) sind sehenswert.
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Dankenswerterweise mitgeteilt durch Hans-Dieter Zemke, Kornwestheim.